Reisen ist die unbekannte Sehnsucht am Horizont

Picture of Anabel Castro

Anabel Castro

Anabel setzt sich gern mit anderen Kulturen auseinander und dabei entdeckte sie ihre Leidenschaft für Dokumentarfilme.

INHALT

teilen

Der Malecon in Havanna: Brandung der Wehmütigen

Acht Kilometer lang ist diese Promenade. Sie schmiegt sich entlang des Atlantiks und zieht dank ihrer kleinen Mauern jeden Abend etliche Kubaner und Touristen an. All jene, die sich nach den letzten Sonnenstrahlen, nach einer frischen Meeresbrise oder der Ruhe sehnen. An diesem Ort in Havanna sind wir alle gleich.

Hier wird nicht unterschieden. Hier sitzen Ärzte neben Schülern. Bettler fragen sich von einem Touristen zum nächsten und mittendrin sitzt der einfache Kubaner mit seinen Träumen und Visionen. Leute wie ich. Mit dem Blick fest auf den Atlantik gerichtet. Irgendwo da hinten. Ein weit entfernter Traum. So wie meiner.

Bei dieser Mauer hat alles angefangen. Hier bildete sich mein Anspruch auf Meinungsfreiheit. Die leisen politischen Gespräche mit Freunden, der Austausch mit Besuchern aus anderen Kulturen öffnete uns allen ein wenig die Augen, die durch Propaganda und den politischen Diskurs blind waren. Ich wollte etwas anderes. Ich träumte von der Gelegenheit, andere Länder mit eigenen Augen sehen zu dürfen. Ich wollte alles, was uns mit Zwang verboten wurde. Es war der Beginn vom Ende meines Lebens auf dieser Insel voller Widersprüche. Die Insel, die uns mit Liebe und Hass gefangen hat. 

Der Beginn vom Ende

Die harte Hungerkrise der 90er Jahre und der massive illegale Exodus in die USA haben sich bei allen von uns ins Gedächtnis eingebrannt. Und ich bin in dieser Zeit aufgewachsen, wo das Reisen für die Mehrheit verboten war. Die meisten besassen nicht mal einen Pass. Wir hatten keine Werbung für das nächste Abenteuer oder all inclusive Angebote. Dafür aber «Patria o muerte» («Heimatland oder Tod») Propaganda-Plakate oder die hoffnungsvollen und dramatischen Telenovelas aus Brasil. Heute kann ich darüber lachen. Damals war das alles ein Fenster zu anderen Kulturen, zu anderen Lebensweisen, die nur in Träumen zu besuchen waren. Es mangelte an allem, ausser an der Vorstellungskraft und dem riesigen Freiheitsbedürfnis. Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, in einem Boot zu fliehen – wie viele andere auch. Der Verlust von Freunden aber erreichte die Tür meines Hauses und zu fliehen war ein absolutes Tabu. Ich habe mich entschieden, zu bleiben und über die schwierig zu ertragende Seite der Revolution zu reden. Das war aber eine viel schlimmere Idee. Als Filmstudentin habe ich das damals als Kompromiss und Hommage gesehen, für alle die weggegangen sind und für diejenigen, die geblieben sind. Meine Filme wurden aber verboten. Ich durfte nicht mehr filmen und wurde ins Exil ins Ausland geschickt. Ich brauchte plötzlich kein Hoffnungsboot mehr. Dafür habe ich aber einen unfreiwilligen, traurigen Flug nach Europa als Freiheitspass bekommen. Und so wie ich mich erinnere, sagten sie im Pass-Büro: du gehst endlich reisen.

Blauer Pass und blauer Himmel haben nichts gemeinsam

Ich habe quasi den Laufpass gekriegt. Es war aber alles anderes als Freiheit. Man braucht für die Freiheit auch einen richtigen Pass. In der Schweiz habe ich sofort gemerkt, dass viele das Privileg hatten, problemlos Reisen und in den sogenannten Urlaub zu gehen. Sie sind gewissermassen frei. Immerhin können sie selbst entscheiden, ob und wo hin sie gehen. 

Ich habe sofort verstanden, dass man mit einem kubanischen Pass fast für alle Destinationen ein Visum benötigt, denn man wird stets als möglicher Migrant eingestuft. Dementsprechend ist Reisen für mich zwar möglich, jedoch keinesfalls einfach. 

Reisen: Eine existenzielle Frage

Hier in der Schweiz spürte ich den bittersüssen Geschmack der Freiheit und hatte zum ersten Mal das Privileg zu reisen. Dafür zahlt man aber einen gewissen Preis. Hier sollte man einen sicheren Job haben und dies am besten bis du ca. 65 Jahre alt bist. Dann kriegt man eine Rente und du hast dann die ersehnte Freiheit lange zu reisen, im Ausland zu leben oder einfach zu machen was du willst. Dann stellt sich einfach die Frage, wie es um die Energie und die Gesundheit steht. Man ist leider nicht mehr so jung. Das System beugt die Personen. Der Alltagsstress zerstört die Gesundheit. Aber nun endlich können wir gehen. Das ist bitter. 

Diese Gedanken kreisen seit Jahren in meinem Kopf und quälten mich manchmal in der Nacht. Es schmerzte zu wissen, dass egal in welches System man aufwächst: Wir sind auf irgendeine Art immer gefangen.

Die Leere in einem gefüllten Alltag

Erst muss man die Leere in einem gefüllten und durchgetakteten Alltag spüren. Erst muss man sich müde und energielos fühlen. Dann fühlt man sich gezwungen eine Entscheidung zu treffen. Mir war klar, dass ich nicht alt werden wollte, um dann mit der Rente die Freiheit zu erreichen, diese Welt mit eigenen Augen zu sehen. Es war eine Frage von jetzt oder nie. 

Durch die ersten Reisen nach Ecuador, Thailand und in die USA entdeckte ich, dass die Leere die ich spürte, nicht mehr da war. Dass die Begegnungen mit anderen Denkweisen und Lebensphilosophien mich bereichern, mich stärken. Dass die fremden Wege manchmal die bekanntesten sind. Weil ich mich spüren konnte. Die wesentlichen Instinkte wie Neugier waren wieder da. Ich wollte wieder filmen und Geschichten erzählen.

Den roten Knopf wieder gefunden

Film ist meine grosse Leidenschaft und das gepaart mit Reisen bedeutet für mich Glück und den Inbegriff von Leben. Mit meiner damaligen Canon Mark II Kamera habe ich viele dieser Momente und Menschen für immer eingefangen. Menschen die offen waren zu erzählen. Momente der Offenbarung über ihre eigene Existenz oder Glauben. Unvergessliche Gespräche, die einfach die Welt auf den Kopf stellten. Die Kamera ist mein reflektives Denken, meine Auseinandersetzung mit der Welt, mit meinen Mitmenschen und mit mir Selbst. Man muss einfach in Bewegung bleiben und die unbekannten Wege gehen. 

WEITERE BLOGARTIKEL

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert